Textil und Keramik im MAK

18. Jan. 2024 in Ausstellungen

MAK Ausstellungsansicht, 2023 HARD/SOFT © MAK/Georg Mayer

Schon seit Jahren feiern die Materialien der angewandten Kunst ein Comeback – jetzt widmet das MAK in Wien Textil und Keramik die große Schau „Hard/Soft“.

MAK Ausstellungsansicht, 2023 HARD/SOFT. Dorothea Tanning, Hôtel du Pavot, Chambre 202, 1970 © MAK/Georg Mayer

Aus den Wänden brechen rosafarbene Körper heraus, Tisch und Sessel sind in undefinierte Wesen verwandelt, der Kamin mutiert zu einer mysteriösen Form. Alles ist mit einem dunkelbraunen Tweedstoff überzogen, es wirkt wie eine Szene aus einem Albtraum. Dieser „Raum 202. Hotel du Pavot“ von 1970 gehört zu den bekanntesten Werken von Dorothea Tanning und ist jetzt einer der Höhepunkt in der MAK-Sonderausstellung „Hard/Soft. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst“.

Pionierin der Soft Scultpures

Damit treffen hier zwei höchst unterschiedliche Materialien aufeinander, die eines vereint: Sie fristeten lange Zeit ein Schattendasein in der Kunst, galten als zu weiblich, zu angewandt. Mit Werken von rund 40 – erfreulicherweise oft weniger bekannten – Künstlern und vor allem Künstlerinnen korrigiert das MAK jetzt dieses Vorurteil. Und dafür ist die Tanning-Leihgabe des Centre Pompidou der perfekte Start: 1910 geboren, sah Tanning 1936 eine Dada- und Surrealismus-Ausstellung in New York. Bald nahm sie an namhaften Ausstellungen teil, lernte Max Ernst kennen. 1946 heirateten sie, zogen 1953 nach Frankreich. Nach Ernsts Tod ging sie 1978 zurück nach New York, wo sie 2012 starb. Sie gilt als Pionierin der aus Textilien geformten „Soft Sculptures“, mit denen sie den Surrealismus in ein neues Material überführte – und blieb trotzdem lange ein Geheimtipp, was sich erst mit ihrer großen Personale 2019 in der Tate Modern London änderte.

Unbezahlte, künstlerische Arbeit

Im MAK kann ihre Installation jetzt wie ein Leitmotiv der Ausstellung gelesen werden. Denn wie Tanning so überführen nahezu alle hier kunsthistorische Tendenzen in ein unerwartetes, allgegenwärtiges Material, beweisen einen wunderbar unkonventionellen Umgang mit Textilien oder Stein, Ton, Keramik, oder konzentrieren sich auf körperähnliche Formen. Ein Viertel der Ausstellungsobjekte stammen aus der hauseigenen Sammlung, einiges entstand eigens für die Schau wie Michèle Pagels Skulptur „Danke, dass ich danken darf!“ Ihr monumentaler Blumenstrauß in einer Vase ist aus Ziegelsteinen ausgeschnitten, die sie mit einer krakelierten Glasur überzieht und brennt – ein herrlich rauhes, kantiges und humorvoll-sarkastisches Objekt: Es sei ein Teil ihrer Kampagne gegen „unbezahlte künstlerische Arbeit und nicht finanziell honorierte Ausstellungsbeteiligungen wie diese“, wird Pagel im Pressetext zitiert.

Kritische Botschaften

MAK Ausstellungsansicht, 2023 HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst MAK Ausstellungshalle EG. © MAK/Georg Mayer

Ähnlich wie Pagels Skulptur transportieren viele Beiträge kritische Botschaften. Keramik- und Textilwerke hier dienen keinen Funktionen wie traditionelle Gefäße oder Kleidungen, wollen nicht als harmlose Dekorationen erfreuen, sondern sind vielsagende Bildträger. Da überführt etwa die polnische Künstlerin Agnieszka Brzezanska die klassische Gefäßkeramik „aus ökofeministischer Perspektive“ (Wandtext) in Brustskulpturen als Hommage an matriarchale Traditionen. Denisa Lehocka greift in ihren Wandtüchern traditionelles Handwerk ihrer Heimat wie die Perlenstickerei für slowakische Trachten auf, um subtile Körperlandschaften zu schaffen. Und die kanadisch-französische Künstlerin und Anthropologin Kapwani Kiwanga benutzt das Medium der Wandteppiche, um Kolonialismus und Sklavenhandel zu thematisieren – man achte auf die winzigen, eingewebten Reiskörner aus Glas!

MAK Ausstellungsansicht, 2023 HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst MAK Ausstellungshalle EG © MAK/Georg Mayer

Comeback der Tapisserien

Gerade die Tapisserien machen noch einen anderen Aspekt in dieser Ausstellung offensichtlich: Wandteppiche lesen wir traditionell als Träger von Erzählungen wie es gerade auch in der grandiosen Ausstellung „Raffael – Gold und Seide“ mit Tapisserien des Renaissance-Meisters im Kunsthistorischen Museum zu sehen ist. Im MAK wird diese Tradition mit aktuellen Themen weitergeführt, wenn Hildegard Absalon ihr Selbstportrait von 1982 in einer dreifachen Spiegelung in unterschiedlichen, fragmentarischen Fertigungsschritten webt – ein beeindruckend experimenteller Umgang mit der Webtechnik. Die 1935 in Bozen geborene, 2017 in Wien verstorbene Künstlerin studierte mit Ingrid Wiener, die mit ihren Gobelin-„Malereien“ des Alltäglichen ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist, bei dem Malerfürsten Albert Paris Gütersloh.

Dosenverschlüsse

Welch ein Kontrast dazu die Werke des ghanesischen Superstars El Anatsui – der übrigens hier erstmals in Österreich ausgestellt ist: Seine Gobbelins sind aus Aluminiumverschlüssen von Dosen mit Kupferdraht vernäht, um von Handelswegen und Kreativitäts-Ressourcen in Afrika zu erzählen. Textilien und Keramik, dass zeigt diese Ausstellung eindringlich, sind weit mehr als nette Materialien für traditionelles Handwerk. Es sind subversive, vielschichtige Bedeutungsträger voller sinnlicher Qualitäten.

Hard/Soft. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst, MAK, Wien, 13.12.20223-20.5.2024

veröffentlicht in: Die Presse, 13.12.2023