Pipilotti Rist: 27. Eiserner Vorhang der Wiener Staatsoper

07. Okt. 2024 in Ausstellungen

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Pipilotti Rist lässt auf dem Eisernen Vorhang eine Bauchhöhle Richtung Alpen fliegen! Das ist eines der außergewöhnlichsten Bilder für diese – seit 1998 von museum in progress organisierte – Einrichtung in der Wiener Oper.

Fanfarenklänge. Kurze Reden. Trotz des Vormittagstermin ist das Parterre der Wiener Staatsoper bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist die feierliche Premiere des 27. Eisernen Vorhangs.

Langsam fährt eine Leinwand herunter. In riesiger Vergrößerung sehen wir einen Bauch, der über eine Staumauer in eine farbenprächtige Landschaft Richtung Alpen fliegt – das ist herrlich absurd! Schließlich kann sich dieses Gebilde zwischen Rippen und Becken nicht verselbständigen und in die Luft steigen. In der Staatsoper ist es möglich – an einem Ort, in dem das Reich der Fantasie herrscht.

„Eigentlich ist es ja kein Bauch, sondern der Querschnitt dadurch,“ korrigiert Pipilotti Rist im Gespräch. Genauer eine Magnetresonanztomographie einer menschlichen Bauchhöhle, in der Wirbelsäule und Gedärme zu erkennen sind. „Das bist Du, während die Perspektiven über die Nabelschau und den Tellerrand hinaus eröffnet werden und Dein Inneres unentwegt Blut und andere Säfte pumpt“, schreibt sie in ihrem Statement.

Die Schweizer Künstlerin wurde letztes Jahr beauftragt, den heurigen Eisernen Vorhang zu verhängen. Seit mehr als 40 Jahre ist diese 170 m2 große, 60 Tonnen schwere Brandschutzeinrichtung aus Metall mit einem Gemälde des österreichischen Malers Rudolf Hermann Eisenmenger verziert. Eisenmenger, Mitglieder der NSDAP von 1933 an, galt als Liebling der Nazis, einer der größten Bewunderer seiner Kunst war Adolf Hitler. Trotzdem konnte der Maler noch 1954/55 die Gestaltung des Vorhangs mit seiner Orpheus und Eurydike-Version gewinnen.

Seit 1998 ist sein Bild nur mehr drei Monate pro Jahr zu sehen – und wird dann verdeckt. Im Auftrag der gemeinnützigen Wiener Kunstinstitution museum in progress kommt ein auf dünne, leichte PVC-Folien gedrucktes, zeitgenössisches Werk mittels einer aufwendigen Magnetkonstruktion darüber. Heuer also von Pipilotti Rist. Bekannt wurde die 1962 geborene Videopionierin mit ihrem kurzen Clip einer jungen Frau, die im Vorbeigehen mit einem Stock die Scheiben von parkenden Autos einschlägt. Das war 1997. Seither entwickelte sie weniger Vandalismus-freudige, dafür gerne psychodelische, multimediale, immersive Installationen, oft mit suggestivem Sound. Letztes Jahr zeigte sie in der zur Kunsthalle umgebauten „Firestation“ in Doha, Katar, ihre Installation „Electric Idyll“. Über Sitzinseln, Betten, Teppiche bis hin zu den Körpern der Besucher glitten digital manipulierte, fließende Projektionen von Farbfeldern. Dazu erfüllte ein hypnotischer Sound die ehemaligen Feuerwehr-Garagen.

Pipilotti Rist, Bauchhöhle überfliegt Staumauer, 2024, Eiserner Vorhang, museum in progress, Wiener Staatsoper, 2024/2025. Copyright: museum in progress

Für den Eisernen Vorhang musste sich Rist auf ein statisches Bild konzentrieren. Sie machte zunächst mehrere Entwürfe, erzählt sie, darunter einen zum Thema Hörsinn, „mit sonnendurchfluteten Ohren“.

Dann entschied sie sich für den fliegenden Bauch – für sie ein „schlüssiges Bild für den Moment vor und nach Opern-Aufführungen“ – jener Zeitpunkt, wenn der Eiserne Vorhang herabgesenkt wird. Es sei „ein inneres Bild“, eine „innere Welt“. „Mich interessiert der Moment des Vorstellens“, sagt sie. Sie hoffe, dass die Besucher der Oper „froh um die Erfahrung sind und vielleicht sogar eine Verschiebung im Betrachten finden“.

Darum habe sie zwei Dinge zusammengebracht, die nicht zusammengehören. Aber warum eine Staumauer, ist das eine Metapher für den Theatervorhang? Die Idee gefällt ihr, für sie sei es eine Mauer, die „Energie zurückhält“.

Jurymitglied Bice Curiger erklärt in ihrer kurzen Rede die Mauer als „Mechanismus einer Psyche, die abblockt, die das Abfließenlassen verhindern will“. Rist konkretisiert es dann auf der Bühne vor ihrem Werk: „Dahinten ist eine riesige Masse Wasser, eine potentielle Energie, sehr ähnlich wie die Künstler in der Oper Tausende von Stunden investieren, um die Opern zu präsentieren. Wenn der Vorhang hochgeht, schwappt die Energie in den Raum,“ und fügt hinzu: „Aber ihr werdet nicht nass.“

Und die Alpen? Das sei etwas, was die Schweiz und Österreich verbinde, erklärt Rist lapidar. Wohin fliegt der Bauch? Es „flitze“ über den „blutigen Bergsee in Richtung Italien“, schreibt sie in ihrem kurzen Statement. Wohin genau? In ihrem Video, aus dem das Bildmotiv stammt, fliegt es über die Berge bis in ein Blumenfeld. In der Oper „ist es offen, das kann man selbst entscheiden.“ Ihr Werk wurde einmal als eine Mischung aus Subversion und Heiterkeit beschrieben – was hier perfekt zutrifft.

veröffentlicht in: Die Presse, 24.9.2024