SBV: Heuer findet die Kunstmesse Artissima in Turin zum vierten Mal unter Ihrer Leitung statt – was hat sich für Sie in den Jahren verändert, was Sind Ihre Pläne?
Sarah Consulich Canarutto: Mir ist immer deutlicher geworden, dass man in der Konkurrenz zu den anderen Kunstmessen sehr spezielle Projekte braucht. Das kann sehr risikoreich sein, ist aber der einzige Weg, sich zu unterscheiden.
SBV: Mit der Sektion „Back to the Future“ hat ja die Artissima als allererste Kunstmesse Rückblicke auf historische Positionen eingeführt – was von den anderen Messen schnell kopiert wurde?
Sarah Consulich Canarutto: Ja, das begann 2010 und es wurde von vielen anderen als Inspiration genommen, Frieze Masters oder auch die Kombination von Zeitgenössischem mit Klassischem. Deswegen haben wir das dieses Jahr auch verändert, „Back to the Future“ fokussiert jetzt auf eine einzige Dekade, die Zeit von 1975 bis 1985. Das wurde mit Kuratoren vorbereitet – die sind die Seele der Artissima. Die Kuratoren wählen nicht nur aus, sondern recherchieren und fragen Galerien gezielt an. Die Kuratoren schlugen auch die Einschränkung auf den engen Zeitrahmen vor – was ein großes Risiko für eine Kunstmesse ist, und eine große Herausforderung für die Galerien, die ja die Werke finden müssen. Aber es ist enorm erfolgreich, wir haben 25 Galerien in dieser Sektion, die – zumindest unter Insidern – durchaus bekannte, aber auch völlig unbekannte Künstler zeigen, darunter einige mit museumsreifen Präsentationen. Diese Mischung ist sehr spannend und ziemlich selten und wir sind stolz darauf, dass anbieten zu können.
SBV: Das heißt, dass einige Galerien ganz gezielt mit genau bestimmten Künstlern angefragt wurden?
Sarah Consulich Canarutto: Ja, einige haben sich beworben und andere, wenige haben wir angesprochen – da steht eine Menge Recherche hinter! Das gilt auch für die Present Future-Sektion, die ja geographisch immer weiter expandiert, heuer sind Künstler aus Ramallah, der Türkei und Indonesien dabei.
SBV: In dieser Sektion und auch dem „Present Future“-Bereich für Junge ist ja noch allerhand Potential – überlegen Sie, die Messe zu vergrößern?
Sarah Consulich Canarutto: Im Gegenteil! Die Kunstmesse ist mit 207 Galerien ziemlich groß. Meine Idealvorstellung wären nur 140 Galerien – mein Traum wäre es, noch viel selektiver zu werden. Das habe ich in den letzten vier Jahren gelernt: Je genauer man auswählt, desto erfolgreicher ist man, weil die Messe dann spezifischer werden kann. Ein Schrumpfen erscheint zunächst riskant, ist aber schlussendlich eine gute Möglichkeit zu wachsen.
SBV: Ein Schrumpfen hieße, dass die Galerien größere Stände nehmen und mehr zahlen müssten?
Sarah Consulich Canarutto: Ja, aber strategisch gesehen kommt die geringere Zahl ihnen zugute, es gibt dann ja weniger Konkurrenz. Die Zahl der Sammler bleibt ja gleich.
SBV: Hat Ihre Aufgabe bei der Kunstmesse Ihre Arbeit als Kuratorin beeinflusst?
Sarah Consulich Canarutto: Ganz sicher. Auf der Kunstmesse arbeite ich weniger mit Künstlern, stattdessen mit Galeristen und Sammlern. Von einem intellektuellen Standpunkt aus bin ich ein bisschen weniger involviert, ich schreibe und kuratiere hier kaum. Aber die Recherchen kommen mir als Kuratorin sehr zugute und die Erfahrungen bereichern meine Tätigkeit auf jeden Fall.
SBV: Ihr Vertrag wurde auf vier Jahre abgeschlossen – möchten Sie verlängern?
Sarah Consulich Canarutto: Das hängt davon ab, ob ich die Projekte, die ich plane, umsetzen werden kann. Ich möchte nicht nur als Direktorin bleiben, sondern für bestimmte Projekte.
SBV: Gehören dazu auch die Gruppenausstellungen wie jene heuer mit Werken aus Sammlungen?
Sarah Consulich Canarutto: Ganz sicher – Stefano Collicelli Cagol hat mit „In Mostra“ eine ganz starke Präsentation zusammengestellt. Die Werke stehen in einem spannenden Dialog miteinander und zur Messe. Dafür bedarf es weiterhin eines klaren Themas und Fokus´.
SBV: Soll es dann in Zukunft mehr Werke aus privaten Sammlungen geben?
Sarah Consulich Canarutto: Ja, durchaus – die Zusammenarbeit mit Sammlern ist dieses Jahr schon sehr stark, die sind in den Preis-Jurys, in den Gesprächen, die Lounge für die Sammler ist ganz besonders gestaltet.
SBV: Ist auch in dem Komitee für die Messe ein Sammler?
Sarah Consulich Canarutto: Das haben schon einige Messen ausprobiert. Es erscheint ja wie ein Interessenskonflikt, dass Galerien andere auswählen oder ablehnen. Aber die Galerien haben zugleich den neutralsten und kenntnisreichsten Blick, die beurteilen ja nicht nur das Programm, sondern auch die Messe-Präsentationen, den gesamten Auftritt. Aber wer weiß, vielleicht probieren wir das in der Zukunft einmal aus.