Wien + Abu Dhabi: Verschiedene Wege der Seidenstraßen

20. Dez. 2021 in Ausstellungen

Ausstellungsansicht “Staub & Seide”, Weltmuseum Wien. Courtesy KHM-Museumsverband

Ausstellungsansicht “Staub & Seide”, Weltmuseum Wien. Courtesy KHM-Museumsverband

Einen weltweiten Warenhandel von Asien bis Europa gibt es schon lange, nicht erst die Römer ließen sich Kostbares aus der Ferne liefern. Aber erst 1877 prägte der deutsche Geologe Ferdinand von Richthofen jenes eingängige Schlagwort, das bis heute aktuell es: die Seidenstraßen. Stoffe, Tee, wilde Äpfel, Jade, Porzellan, aber auch Waffen und Wissen wurde auf den vielen Handelsrouten ausgetauscht – denn es gab weit mehr als nur die eine Seidenstraße. Seit 2013 ist das Schlagwort wieder aktuell, damals rief China das Projekt „Neue Seidenstraße“ aus. Auch hier geht es wieder um Transporte, wenn auch vor allem um Rohstoffe. Dafür entstehen Straßen und Bahntrassen in bisher unerschlossenen Abbaugebieten.
Mit der Ausstellung „Staub & Seide“ im Weltmuseum Wien werden jetzt die historischen Routen mit den aktuellen Infrastrukturprojekten verwoben. Über 200 historische Objekte, Fotografien sind mit zeitgenössischen Kunstprojekten in einer „fragmentarischen Erzählung“ kombiniert, die sich auf die „Seitenwege der Seidenstraßen“ konzentriert, wie Kuratorin Maria-Katharina Lang erklärt, auf die Zwischenräume und ihre Bewohner. Immer wieder vermischt sie dafür die Zeiten und auch die Genre, wenn gleich am Anfang auf fünf Monitoren die 9840 Kilometer lange Güterzugstrecke von China nach Hamburg von Paul Kolling zu sehen ist. Gegenüber fasziniert eine historische Bildrolle aus dem frühen 18. Jahrhundert, die das „gesamte Territorium unter dem Himmel“ kartografiert, mit China, Manschurai, Ostturkestan und Korea.

Kohlelaster am Weg nach China, Tavan Tolgoi, Ömnögobi, Mongolei, 2018 © Maria-Katharina Lang

Kohlelaster am Weg nach China, Tavan Tolgoi, Ömnögobi, Mongolei, 2018
© Maria-Katharina Lang

Historische Gewänder aus Goldstoff, in der historischen Ikat-Technik bewobene Mäntel, Steppmützen, aber auch kunstvolle Fliesen und Porzellan geben einen träumerischen Eindruck des damaligen Reichtums, der über die Seidenstraßen transportiert wurde – und sind kombiniert mit drastischen Videoaufnahmen unserer Zeit: Wir sehen verfallene Häuser in einem ehemaligen Uranabbaugebiet in Kirgisistan und Kolonnen von LWK, die in der kargen, staubigen Wüste Gobi in der Mongolei Rohstoffe aus den kahlen Bergen abtransportieren.

Nomin Bold, Time Link, Mongolei 2020. Courtesy MARKK, Foto: Paul Schimweg

Nomin Bold, Time Link, Mongolei 2020. Courtesy MARKK, Foto: Paul Schimweg

Die Ausstellung ist voller kleiner Geschichten wie jene des ehemaligen mongolischen Sklaven und späteren Künstlers Feodor Ivannoff, der schon als Kind geraubt und verschleppt wurde. Auf Fragmenten von Monumentalgemälden sehen wir die Schlacht von Qurman, mit der 1759 „Ostturkestan“ in das chinesische Kaiserreich eingegliedert wurde, Umida Akhmedova gibt uns mit ihren Fotodokumentationen einen kleinen Einblick in den Alltag des usbekischen Volkes und die Malerin Nomin Bold erzählt in traditioneller Mongol-Zurag-Technik von den unsichtbaren Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart – ein schönes Zeugnis dafür, wie komplex kultureller Austausch heute geworden ist.

Dragon & Phoenix. © Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi

Dragon & Phoenix. © Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi

Dieses Thema des Austauschs hat auch eine sehr dichte Ausstellung im Louvre Abu Dhabi aufgegriffen, allerdings nicht Sparten- und Zeitenübergreifend, sondern wohl geopolitisch motiviert: „Drachen & Phönix“ zeigt den engen Austausch zwischen „chinesischen und islamischen Welten“, so der Untertitel. Auch in „Staub & Seide“ sehen wir diese Verbindung etwa in den arabischen Wasserpfeifen aus dem typisch chinesischen, blau-weißen Porzellan. Aber in Wien ist es nur eine unter vielen Erzählungen. In dem Prestigemuseum der Vereinigten Arabischen Emiraten dagegen dienen die 200 grandiosen Objekte aus der eigenen Sammlung, 13 französischen und auch chinesischen Museen dazu, eine große Nähe zwischen zwei ehemals dominanten, dann marginalisierten Kulturen zu manifestiert. Der Zeitraum der Ausstellung umspannt die Koran Offenlegung im 8. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert, einer wirtschaftlichen Blütezeit Chinas. In vier Räumen chronologisch aufgearbeitet, beginnt es mit Terrakotta Figuren neben islamischen Keramikgefäßen. Im nächsten Raum schon wird der Austausch von Machtsymbolen demonstriert, wenn buddhistische Elemente in islamischen Bildszenen auftauchen. Im 13. Jahrhundert beginnt der Export des blau-weißen Porzellans aus China in die islamische Kultur, zunehmend werden auch mythische Tiere wie Drache und Phönix als Motive für Gefäße bis Teppiche wechselseitig übertragen. Im fünften Raum wird die Nähe zwischen chinesischen Tuschezeichnungen und arabischer Kalligraphie betont, beide laut Wandtexten spirituell verwurzelt.

Dragon & Phoenix. © Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi

Dragon & Phoenix. © Department of Culture and Tourism – Abu Dhabi

Grundtenor der Ausstellung in Abu Dhabi ist die Idee einer gegenseitigen Inspiration, eines friedlichen und harmonischen Austauschs zwischen zwei „Hochweltkulturen“, wie es genannt wird. Wie die Objekte in die französischen Museen gelangten, steht hier nicht zur Debatte. Der Fokus liegt auf Schönheit und kulturellem Reichtum, anhand dessen „neue historische Perspektiven entdeckt werden“ sollen. Während in Wien unsere Vorstellungswelten der Seidenstraßen „dekonstruiert“ werden, wie es Weltmuseums-Direktor Jonathan Fine im Katalog schreibt, intensiviert jene Schau im Louvre Abu Dhabi einen geopolitischen Austausch.
veröffentlicht in: Die Presse, 18.12.2021

Staub & Seide, Steppen- und Seidenstraßen. Weltmuseum Wien, 16.12.2021-3.3.2022
Drachen & Phönix, Jahrhunderte des Austauschs zwischen Chinesischen und Islamischen Welten. Louvre Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate, 6.10.2021- 12.2.2022