18. Istanbul Biennale, Contemporary Istanbul

31. Okt. 2025 in Biennalen

Ayman Zedani, Between Desert Seas, 2021. 18. Istanbul Biennale 2025. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Istanbul stand im September im Zeichen der Kunst: Gleich nach der 18. Istanbul Biennale eröffnete die Kunstmesse Contemporary Istanbul – aber wie schaut die Kunst in der von Zensur und Inflation bedrohten Türkei aus? 

Es hätte kaum passender sein können: Während der Eröffnungstage der 18. Istanbul Biennale dröhnten fünf F-16-Jets in perfekter Formation über den Himmel von Istanbul. „Seit einer Woche passiert es jeden Tag“, sagte unser Guide. Sind es Luftpatrouillen infolge des israelischen Anschlages in Doha? Immerhin gilt auch die türkische Metropole als eine Basis für Hamas-Funktionäre. Oder sind es Probeflüge für die Flugshow des „Teknofests“? Sie wusste keine Antwort.

Aber das Luftspektakel passt perfekt in die aktuelle Situation am Bosperus, die geprägt ist von einer allgegenwärtigen Verunsicherung. Unter Regierungspräsident Recep Tayyip Erdogan ist die Türkei auf Platz 158 von 180 der Pressefreiheits-Rangliste abgerutscht. Er lässt das Land nach islamischen Grundsätzen umbauen und verbot die Pride Parade. Trans-Rechte sollen eingeschränkt werden, LGBTQ+-Identitäten werden diskriminiert. In der Justiz herrscht Willkür, schon ein falscher Tweet kann zur Verhaftung führen und Bürgermeister verschwinden aus fadenscheinigen Gründen hinter Gittern. Selbst Unternehmen und Stiftungen nehmen in heiklen Fragen Rücksicht auf die Regierung, um nicht in Konflikte zu geraten – wie jüngst die private Istanbul Biennale-Stiftung IKSV.

Ein internationales Gremium hatte 2023 die türkische Kuratorin Defne Ayas als Leiterin für die 18. Istanbul Biennale vorgeschlagen. Die Stiftung lehnte die Wahl ab, woraufhin die Kunstszene tobte und IKSV Selbstzensur und Intransparenz vorwarf. Denn vor zehn Jahren war in einem von Ayas verantworteten Katalog vom – offiziell geleugneten – Armenischen Völkermord die Rede, das Buch wurde daraufhin verboten.

Kevser Güler, Ömer M. Koc, Christine Tohme, Bülent Eczacibasi. Foto: Mühenna Kahveci, Courtesy IKSV 2025

Letztes Jahr wurde dann die aus Beirut stammende Christine Tohmé berufen. Unter ihrer Leitung eröffnete jetzt die 18. IB mit einem Jahr Verspätung – und spiegelt das Klima vorauseilender Anpassungen wider. Zwar sprach Ömer M. Koç, Vorsitzender des Hauptsponsors Koç Holding, auf der Pressekonferenz die Konflikte an, aber nur indirekt. In Abwandlung eines Zitats des ersten Präsidenten der Türkei Mustafa Kemal Atatürk erklärt er: „Erfolge in der Kunst sind wichtig für die Zivilisation, für die nationale Reputation“.

Im anschließenden Gespräch verweist er darauf, dass er gerade schwierig sei, weil es „am Ende des Tages um Realpolitik“ gehe. Aber darin sehe er auch Herausforderungen. Ähnlich reagiert Tohmé mit ihrem Biennale-Titel: Mit „Dreibeinige Katze“ wählt sie eine Metapher für Überlebensfähigkeit trotz Unvollständigkeit, „Instabilität wird ins Positive gewendet“, wie sie sagt. Zwar deutet die dreibeinige Katze auch ihre Biennale-Struktur an, denn die Biennale wird mit einem zweiten, als Akademie bezeichneten ´Bein´ fortgesetzt und soll 2026 ein drittes, lokal kuratiertes ´Bein´ erhalten.

Chen Ching-Yuan, Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Aber vor allem bestimmt das fehlende vierte Bein und ihr Appell des Nicht-Aufgebens die Beiträge der 47 Künstler an 8 Orten. Leise, aber unmißverständlich wie Chen Ching-Yuan in seinen akademisch anmutenden Bildern, die anhand von kollabierenden Bäumen zugleich von Widerstand erzählen. Akram Zaatari deutet den traditionellen türkischen Nationalsport des Öl-Ringkampfs in seinen sechszehn offensichtlich homoerotischen Acrylzeichnungen radikal um. Tief unten im Keller der Griechischen Schule thematisiert Ayman Zedani die Übersalzung des Arabischen Meeres mit Walgesängen und einem dichten Salzteppich auf dem Boden. Eindringlich sind auch die Zeichnungen von Sohail Salem, der den täglichen Horror des Gazakrieges mit wenigen Strichen in einzelnen Bildmotiven festhält.

Akram Zaatari, Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV 2025

 

 

Sohail Salem, Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV 2025

Hatten Tohmé und auch Koç auf der Pressekonferenz den Gazakrieg direkt angesprochen, so ist dazu auf der eine Woche später eröffnenden Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI) nichts zu hören. Aber so ganz heil ist auch hier die Welt nicht, das Gesprächsprogramm stand unter dem Titel „Disrupted Coordinates“, um über geopolitische Instabilitäten bis zu sozialen Paradigmenwechsel zu sprechen.

Courtesy Contemporary Istanbul at Tersane, Istanbul, 2025

So heikle Aspekte wie die enorme Gentrifizierung in Istanbul kommen dabei allerdings nicht zur Sprache, obwohl die Messe in Tersane stattfindet. Das brandneue Viertel mit Luxusapartments, Hotels und einem Shoppingzentrum direkt am Goldenen Horn entsteht auf dem Gelände einer 600 Jahre alten, ehemaligen Werft. Es soll das „neue Downtown“ werden, ein Luxusareal. Ein Hotelier beschreibt Tersane als die „Champs-Élysées“ von Istanbul – idealer Standort für die Contemporary Istanbul, die dieses Jahr von 54.320 Besuchern gestürmt wurde.

Courtesy Contemporary Istanbul, 2025

Dabei ist die Inflation noch immer immens, auch wenn offiziell von nur knapp 33 Prozent geredet wird. Das Leben sei für die meisten unerträglich teuer geworden, erzählt ein Taxifahrer, Restaurants und Mieten seien kaum noch zu bezahlen. In die Hotels in Tersane bringe er vor allem russische und iranische Gäste – und während der Messetage die türkische Oberschicht.

Rund 2.4 Prozent der Istanbuler gehören zur sozioökonomischen Gruppe A+, was bei offiziell 16 Millionen Einwohnern immerhin 384.000 Menschen sind. „Wir wissen, was wir hier verkaufen können und die Geschäfte laufen sehr gut“, so Mark Hachem, der Galerien in Paris und New York betreibt und mit der Messe zufrieden war.

Rasim Aksan at Pilevneli Gallery, Istanbul 2025

Die jüngst in einem Gassenlokal in Tersane eröffnete Pilevneli Gallery weiß es wohl auch, wenn prominent im Eingang ein hyperrealistisches Airbrush-Bild von Rasim Aksan hängt: eine offensichtlich homoerotische Szene in einer Bar voller fröhlicher Matrosen. Auch das von der Vehbi Koç Foundation finanzierte Kunstzentrum Arter scheut Anspielungen auf das offiziell tabuisierte Thema nicht. Dort findet gerade die erste Personale der türkisch-österreichischen Künstlerin Nilbar Güres mit ihren wunderbaren queeren Bildwelten statt. Sie wird nächstes Jahr den türkischen Pavillon der Biennale Venedig bespielen – eine mutige Entscheidung, die einmal mehr beweist: „Die türkische Gesellschaft ist krisenerfahren“, bemerkt Markus Graf beiläufig beim Rundgang über die Messe, „trotz aller Tumulte geht es immer weiter.“ Unterdessen ist der Himmel über Istanbul auch wieder ruhig.

veröffentlicht in: NZZ, 22.20.2025

18. Istanbul Biennale, 20.9.-23.11.2025; Contemporary Istanbul 22.-26.9.2025; Nilbar Güres, Arter, bis 12.4.2026

Elif Saydam. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV 2025

Kongkee, Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Khalil Rabah. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Doruntina Kastrati. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Oben Eva Fabregas, unten Pilar Quinteros. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

Mona Marzouk. Foto: Sahir Ugur Eren, Courtesy IKSV

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