Wirbel um Vienna Contemporary

05. Jul. 2020 in Kunstmarkt, News

Vienna Contemporary in der Marxhalle, Wien 2017

Vienna Contemporary in der Marxhalle, Wien 2017

Das Geschäft mit Kunstmessen schien krisensicher – bis Corona kam. Seither steht das Messekarussell still. Der Ausweg in digitale Verkaufsräume hat sich nicht als optimale Lösung erwiesen, die Verkaufszahlen dort sind mager. Was also tun? Für Dmitry Aksenov, Eigentümer der Wiener Kunstmesse Vienna Contemporary, ist die Antwort klar: Seine Messe  soll Ende September in den Marxhallen stattfinden. Aber wieviel Käufer und Sammler wollen eine Kunstmesse besuchen? 2019 kamen 29.000 Besucher, dieses Jahr wird mit der Hälfte gerechnet – wieviel Umsatz wird unter solchen Bedingungen möglich sein? Und vor allem: Sind die Galerien bereit, das finanzielle Wagnis einzugehen? 290 Euro kostet ein Quadratmeter, bei 50 Quadratmeter Verkaufsfläche sind das 14.500 Euro, plus 1000 Euro Anmeldegebühr und Extrakosten für jeden weiteren Lichtstrahler – wer will oder kann sich das nach dem massiven Geschäftsrückgang der letzten Monate leisten? Laut Johanna Chromik, künstlerische Leiterin der Vienna Contemporary, haben sich schon 40 Galerien – auch aus Osteuropa – angemeldet, darunter 10 für die sehr kostengünstige Zone 1. Die meisten Wiener Galerien dagegen zögern noch. Nein: Sie proben den Aufstand! 22 unterzeichneten einen Appell an die Messe: Sie verlangen eine Kostenreduktion um 50 Prozent. Sie wollen, dass sich Messe und Galerien das Risiko teilen. Darauf aber lässt sich die Vienna Contemporary nicht ein. 35 Prozent Preisnachlass werden angeboten. Zum Ärger der Galerien sogar mit Einschränkung: ohne digitalen Besuchsraum. Oder minus 20 Prozent plus online-Raum. Eine Teilnahme nur im digitalen Raum soll 1000 Euro kosten. Wie der aussieht, können die Galerien allerdings noch nicht sehen – es gibt noch keinerlei konkrete Informationen.
Jede Kunstmesse denkt gerade über alternative Verkaufsplattformen nach, manche sind dabei schon sehr weit. Die im November geplante Artissima in Turin richtete von Juni bis Juli für jene Galerien, die 2019 teilnahmen, einen von Kuratoren zusammengestellten, kostenlosen digitalen Raum ein. „Fondamenta“ heißt das Projekt, denn „die Galerien sind das Fundament der Messe“, erklärte Leiterin Ilaria Bonacossa dazu im ZOOM-Gespräch. Sie bot virtuelle Führungen an, die auf großes Interesse stießen. Sie hofft, dass im November die Messe folgen kann: „Die Halle ist groß genug, wir können vier verschiedene Ein- und Ausgänge einrichten.“ Statt über 200 sollen rund 130 Galerien teilnehmen – 120 Anmeldungen gäbe es schon, sagt sie. Zwei Tage sollen für professionelle Besucher reserviert werden, danach werden die Ticket auf höchsten vier Stunden Aufenthalt limitiert und digital für fixe Eintrittszeiten verkauft. Rund 100 Plätze sollen dabei jederzeit für jene Sammler freigehalten werden, die sich zeitlich nicht festlegen wollen.
Solche Konzept hat die Vienna Contemporary noch nicht ausgearbeitet. Allerdings sei die Standarchitektur schon angepasst, erklärt Chromik im Telefongespräch: Nur rund 60 Galerien können teilnehmen, die Stände sollen nicht größer als 50 Quadratmeter und auf eine Halle beschränkt sein. Das klingt wie ein Weiter-Wie-Bisher, nur eben geschrumpft. Genau das kritisiert auch Gabriele Senn: Sie vermisst eine Vision in dieser schwierigen Situation. Josephine Wagner vom Raum Mit Licht geht noch einen Schritt weiter: Sie wird nicht teilnehmen, da sie kaum internationales Käuferpublikum erwartet. Christian Meyer von Meyer Kainer erwägt einen Zone 1-Stand: „Nur ein Künstler, nur 25 Quadratmeter – das ist denkbar.“ Martin Janda zögert noch. „Wien braucht eine starke Messe, aber es braucht eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Messe und Galerien“, fordert er. Noch ist nichts endgültig entschieden, aber 15 Wiener Galerien überlegen einen kompletten Rückzug. Das wäre das Ende der Vienna Contemporary. Damit steht das Messe-Team vor einer klaren Entscheidung: Finanzielle Einbußen oder Komplettverlust der Messe.

veröffentlicht in: Die Presse, 2.7.2020