Artissima + Abu Dhabi Art: Regionalmessen begeistern

29. Nov. 2022 in Kunstmarkt

 

Marinella Senatoris „Bodies in Alliance“ vor dem Eingang der 14. Abu Dhabi Art im Kulturzentrum Manarat Al Saadiyat. Courtesy Abu Dhabi Art 2022

Das erste Post-Corona-Messejahr ist fast vorbei. Dachten wir letztes Jahr in Zeiten von Lockdown und Impfpasskontrollen noch, die Pandemie würde das Messekarussell verlangsamen, ist jetzt eines gewiss: Es hat sich nichts geändert. Fast nichts. Zwar ging keine Veranstaltung verloren. Aber die Messen stehen vor der Herausforderung, ihr Profil zu schärfen – was nicht allen gelingt. Auf der mit Mode-Ständen durchsetzten Frieze Art Fair in London etwa war eine große Verunsicherung der Galerien zu beobachten: Es wurde fast ausschließlich – wenig experimentelle – Malerei angeboten. Die arg geschrumpfte Vienna Contemporary verfrachtete heuer die staatlich geförderte Sektion für junge Kunst wohl aus Platzmangel in einen nahezu unrenovierten Keller. Wie anders dagegen die Messen in Turin und Abu Dhabi! Beiden gelang es, ihre Nische auszubauen: Die 29. Artissima begeisterte dank des Teams von externen Kuratoren mit museumsreif kuratierten Sektionen wie „Present Future“ und Papierarbeiten. 14. Abu Dhabi Art baute mit dem Schwerpunkten Nordafrika und Türkei überzeugend ihren regionalen Fokus aus.

29. Artissima Torino 2022. Courtesy Artissima

Beide Messen kommen dabei weitgehend ohne Mega-Galerien aus, was der im Februar berufene, neue Direktor der Artissima Luigi Fassi programmatisch sieht: „Wir wissen, dass eine jüngere Sammler-Generation andere Messen benötigt. Darum bieten wir etwas Spezielles: Wer hierher kommt, sucht keine Blue Chips, sondern Entdeckungen. Das ist eine große Herausforderung, dafür müssen wir immer up to date sein“, erklärt er im Gespräch. Anfang November brachten 174 Galerien aus 28 Ländern hochqualitative Skulpturen, Fotografien und Malerei mit in die Oval genannte Turiner Messehalle. 42 Galerien nahmen erstmals teil, 33.200 Besucher kamen – was der letztjährigen Vermutung einer Messe-Müdigkeit krass widerspricht. In der „konzentrierten Auswahl“, wie Fassi es nennt, sieht er für Institutionsleiter das Angebot einer „Optimierung des Verreisens“ – was noch unterstützt werde mit den Ausstellungen in der Stadt: Zu sehen sind die Filme zur Black Culture von Arthur Jaffa im OGR oder die jüngst eröffnete, erstmals öffentlich zugängliche „La Pista“ in der Pinakothek Agnelli mit Werken oben auf der ehemaligen Teststraße des Autohauses Fiat. Das umfangreiche Parallelprogramm in der Stadt betone laut Fassi die Priorität der Artissima: „Es geht hier in erster Linie um Kunst.

Abu Dhabi Art 2022. Courtesy of Abu Dhabi Art

Schwerpunkt der Abu Dhabi Art ist „kultureller Austausch“, wie es Direktorin Dyala Nusseibeh im Gespräch betont. Dafür setzt auch sie auf externe Kuratoren, die junge Galerien aussuchen. Gehörten Anfangs Mega-Galerien wie Hauser & Wirth oder Pace noch zum fixen Stamm der Messe, so veränderte Nusseibeh das Messeprofil mit ihrem Antritt 2016: „Wir brauchen keine globalen Player. Wir adressieren Galerien, deren Werke den Interessen der Sammler hier entsprechen“, erklärt sie im Gespräch ihr Konzept, „hier werden vor allem Werke gekauft, mit denen die Käufer leben wollen, die sie lieben“ – und die im Preisniveau auch den jüngeren Käufern entgegenkommen, möchte man ergänzen. Dafür gibt es günstigere, nur 24 Quadratmeter kleine Stände mit Solopräsentationen oder Werken unter dem Preislimit von 4000 Euro. Und es ging heuer perfekt auf! In das Kulturzentrum Manarat auf der Saadiyat Insel kamen mehr Emiratis, aber auch Sammler aus Europa zur Eröffnung als je zuvor. 80 Galerien aus 28 Ländern nahmen teil, darunter 33 zum ersten Mal – auch hier ein Rekord an Neuzugängen. Gleich vor dem Eingang empfängt eine gigantische Neonskulptur in Form eines Portals des italienischen Shootingstars Marinella Senatore die Besucher, deren Lichtarbeiten mit dem aufmunterndem Slogan „Dance First Think Later“ auch den Stand der Turiner Galerie Mazzoleni in einen magisch wirkenden Raum verwandeln. Ihre Arbeiten sind inspiriert von den „luminarie“, jenen erleuchteten architektonischen Formen, die in Italien für öffentliche Feierlichkeiten aufgestellt werden. Bei der ebenfalls erstmals teilnehmende Ko Galerie aus Lagos interessierten die schwebenden Keramik-Skulpturen von Ngozi-Omeje Ezema und die Druckgraphik-Serie des 90jährigen Bruce Onobrakpeya nicht nur zahlreiche Sammler, sondern auch die Ankaufsjury des Guggenheim Abu Dhabi – das 2025 endlich eröffnet werden soll. Onobrakpeyas Serie mit indigenen Motiven entstand anlässlich der Nigerian Independence Trade Fair 1960.

kó Gallery stand – Courtesy/ Cedric Riberio. 1. Abu Dhabi Art 2022

Auch in Abu Dhabi ist das Beiprogramm ein wichtiger Aspekt der Messe: Für die Wüstenstadt Al Ain entstanden vier von der Messe beauftragte Skulpturen, die im historischen Fort und in der seit Jahrhunderten bewirtschafteten Oase stehen wie Conrad Shawcross´ kinetische, mit dem Sonnenlicht spielende Skulptur. „Wir möchten Besucher ermuntern, die faszinierenden Kulturstätten der Emirate kennenzulernen“, erklärt Nusseibeh das Konzept. Darum bleiben diese Werke auch bis Ende Januar aufgebaut.
Höhepunkt der Messewoche ist die Eröffnung der Impressionismus-Ausstellung im Louvre Abu Dhabi, die „Wege in die Moderne“ mit rund 200 Exponaten aus französischen Museen zeigt. Allein aus dem berühmten Musee d´Orsay stammen 120 großartige Leihgaben – derartig viele hochkarätige Meisterwerke sind heute nur noch selten zusammen zu sehen, die Versicherungskosten kann kaum ein Museum aufbringen. Das Louvre Abu Dhabi feiert damit sein fünfjähriges Jubiläum. Mehr als drei Millionen Besucher kamen bisher, um Werke aus allen Zeiten mit Fokus auf die Gemeinsamkeiten der Kulturen zu sehen – und zur Feier wurde zugleich der Vertrag mit Frankreich um zehn Jahr bis 2047 verlängert. Solche prominenten Parallelveranstaltungen wie in Turin und Abu Dhabi entwickeln sich immer mehr zum Muss für erfolgreiche Kunstmessen.

veröffentlicht in: Die Presse, 27.11.2022

Conrad Shawcross, Abu Dhabi Art commission in Al Ain, 2022. Foto SBV