Biennale Cuvée, OK Centrum Linz 2006

27. Mrz. 2006 in Biennalen

Höhepunkte aus vier Biennalen des letzten Jahres: Linzer Biennale Cuvée
Wer Kunst schauen will, muss reisen. Dafür bieten sich zwei Routen an. Die eine, die vor allem durch Europa führt, folgt den internationalen Kunstmessen. Die andere, weitaus spannendere, führt in die Ferne: Über 120 Biennalen geben Anlass, in Sachen Kunst um die Welt zu reisen. Letztes Jahr gehörten zu den wichtigsten Stationen die Biennale Venedig, die zwei konkurrierenden Biennalen in Prag, natürlich Istanbul, aber auch Sharjah in den Emiraten und die Baltic Triennale in Vilnius/Litauen.
Aus einigen dieser letztjährigen Biennalen hat jetzt das OK Centrum in Linz ein Biennale Cuvée mit Werken von 38 KünstlerInnen produziert. Das ist nicht nur eine großartige Idee, sondern auch ein perfektes timing. Denn das letzte Jahr war ein bemerkenswerter Jahrgang in Sachen Kunst.
Während auf den Kunstmessen mehr und mehr harmlose Flachware dominiert, brodelt es auf den Biennalen. Hier werden tiefgreifende Themen verhandelt, in Sharjah etwa „Zugehörigkeit“ als kulturelle und auch nationale Identitätssuche vor allem von KünstlerInnen des arabischen Raumes. In Istanbul stand gleich die ganze Stadt mit der asiatisch-europäischen Doppelidentität zur Diskussion und als Vorbild aller Biennalen konnte Venedig schlicht mit einer ungeheuren Quantität auch aus bisher kaum bekannten Ländern auftrumpfen.
Aus all dieser Menge haben Genoveva Rückert und Martin Sturm für den Biennale Cuvée zielsicher vor allem gesellschaftskritische und Urbanismus umspielende Werke ausgesucht: Candice Breitzs Zusammenschnitte von Vater- und Mütter-Hollywood-Klischess, Adrian Pacis´ tief beeindruckendes Video der stummen Männer, die kleine Motoren für ihre vereinzelten Laternen antreiben oder die spielerischen Animationsvideos von Robin Rhode: Kreidezeichnungen von Fahrrädern oder Pferden auf dem Boden, auf denen sich Kinder liegend gruppieren. Neben diesen drei bereits in Venedig als Höhepunkte erlebten Beiträgen sind aber auch Werke zu sehen, die in Italien eher verborgen blieben, etwa Donna Conlons Video von Ameisen, die winzig kleine Flaggen abtransportieren – von jenen Ländern, die sich in Kriegen befinden.
Während aus Vilnius eine kompakte, für Linz neu inszenierte Ausstellung namens „Black Market Worlds“ mit u.a. Markus Schienwald, Jonathan Monk oder Bruno Serralongue kommt, hat das Kuratorenteam aus Prag fast ausschließlich aus der ´offiziellen´ Biennale in der Nationalgalerie Werke ausgewählt – die „Prag Biennale 2“ in der Ruinenhalle war wahrscheinlich zu sehr auf flotte Messeware ausgerichtet. Aus Prag also kommen die aufgetürmten Kaffetassen mit Schmutzresten, in die Isabelle Krieg kleine Zeichnungen hineinzaubert, oder Qin Gas Fotografien von Tätowierungen: Der Lange Marsch als Rückenzierde.
Zu Gas Installation gehört auch ein Video mit Singenden – ein Element, das oft eingesetzt ist. So läßt Johanna Billing kroatische Kinder den Popsong „Magical World“ aus den 60er Jahre singen. Calin Dans Gang durch Bukarest, eine Tür auf dem Rücken tragend, ist begleitet von rumänischer Volksmusik und einheimischen Hiphop. In Juan Manuel Echavarrias Video erzählen Männer im Sprechgesang von Leid und Tod in ihrer Heimat, während in der Installation der Krigisen Muratbek Djoumaliev & Gulnara Kasmalievas Frauen volkstümliche Balladen singen – eine Installation, die in Venedig im zentralasiatischen Pavillon ausgestellt war und von „Kofferhändlern“ der Postsowjetunion handelt.
Aus all diesen fremdartigen Gesängen und Bildern entsteht auf dem Biennale Cuvée eine ungeheuer suggestive, überwältigende Stimmung, die vor allem von einem redet: Die Landkarte der Kunstwelt vergrößert sich und was etwa im Mittleren und Fernen Osten entsteht, verschafft sich lautstark Gehör. Dazu scheinen vor allem dokumentarische Elemente wie eben der Gesang oder urbane Ansichten geeignet, weswegen es auch kaum verwundert, dass Video dominiert. Wurde dies Medium in Sharjah in einzelnen Video-Räumen, in Istanbul auf vielen Etagen in vielen Häusern gezeigt, nutzt das OK-Centrum seine drei Stiegenhäuser perfekt als Präsentationsorte. Erstaunlicherweise stört dieser Klangteppich, der so das ganze Haus füllt, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es erzeugt ein großes Interesse, auch den nächsten Biennalen zu folgen. Und der Reiseplan für dieses Jahr ist gewaltig: Zunächst nach Berlin, dann zur 9. Biennale in Havanna, zur ersten in Bukarest, 4. in Liverpool, 6. in Shanghai, zur 27. in Sao Paulo, nach Gwangju in Südkorea und zur neugegründeten Singapur-Biennale mit dem spannenden Thema „Belief“ (Glaube) – um nur die Wichtigsten zu nennen. Da bleibt zu hoffen, dass auch 2006 wieder ein Biennale Cuvée-fähiger Jahrgang wird!

Biennale Cuvee, OK Centrum für Gegenwartskunst, Linz; 10.2.-9.4.2006
publiziert in: NZZ, 27.3.2006, „Kunst 2005 – Ein perfekter Jahrgang“
http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleDNW4Z-1.21385