Neue Messen für Wien: Particolare + Noize

20. Sep. 2024 in Kunstmarkt, Kunstmesse

Wim Delvoyes Installation auf der Particolare im Kursalon Hübner, Wien. Foto: Delvoye Studio

Kann es in Wien überhaupt zu viele Messen geben? Offenbar nicht. Gerade feiern zwei brandneue Format ihre Premiere in Wien: „Particolare“ als neues Format von einem altbekanntem  Inhaber und das türkische Gastspiel „Noize“.

Herbstbeginn ist Messezeit in Wien – und das heuer geballt. Denn rund um die angestammte Vienna Contemporary startet diese Woche nicht nur die altbekannte Parallel Vienna. Neu dazu kommen mit „Noize Vienna“ im Palais Festetics und „Particolare“ im Kursalon Hübner zwei weitere Kunstmessen.

Allen drei ist gemeinsam, dass sie das Format wenn nicht neu erfinden, dann doch zumindest variieren wollen. Ähnlich wie die Parallel Vienna, die heuer zum zweiten Mal auf dem Otto-Wagner-Areal in Pavillons der ehemaligen Psychiatrie stattfindet, ist auch Noize ein Hybrid: Verkaufsveranstaltung und Musik-Festival zugleich.

Liegt der Kunstschwerpunkt bei Parallel auf allem, inklusiv Studentenpräsentationen, so ist Noize als Messe für Medienkunst ausgerichtet. Letztes Jahr in Istanbul gestartet, zog es die türkischen Veranstalter heuer nach Wien. Dreißig Galerien, darunter der Wiener non-profit-Raum „Das Weiße Haus“ und die Fotogalerie Wien, verteilen sich in der unteren Etage des Palais in der Berggasse im 9. Bezirk. Die Betonwände sind unverputzt, der Estrichboden roh, manche Wandecken abgeschlagen, die Fenster für all die Monitore verdunkelt. „Wir wollten etwas Unkonventionelles, wollten die Messe als ´under construction´ anlegen“, erklärt Messedirektorin Hande Sekerciler das ungewohnte Ambiente. Im krassen Kontrast dazu findet auf der oberen Etage eine kuratierte Ausstellung und das von künstlerischen Visuals begleitete Musikprogramm statt, in pompösen Räumen mit riesigen Spiegeln und Lustern, barockisierten Sesseln und goldenen Verzierungen an den Wänden.

Installation view PARTICOLARE at Kursalon Vienna, 2024 © Particolare, photo: Andrey Gordasevich

Particolare im Kursalon Hübner 

Ein ähnlich herrschaftliches Ambiente gehört auch zu Particolare im Kursalon Hübner im Stadtpark. Wo sonst gerne Maturabälle stattfinden, stehen jetzt unter herrlichen Lustern fünf Tage lang Skulpturen im großen Ballsaal. Angelegt als Hybrid zwischen Messe und Ausstellung, wird auch hier eine neue Form ausprobiert. Denn die Galerien müssen nichts für die Präsentation ihrer Werke zahlen. Abgerechnet wird erst bei Verkäufen, 20 Prozent bleiben dann bei den Messeveranstaltern. Wenig überraschend sagten hier viele internationale Galerien sofort zu – obwohl diese Messe in Wien im Vorfeld heftig und kontrovers diskutiert wurde. Ausschlaggebend dafür ist der Initiator Dmitri Aksenov, ehemals Inhaber der Vienna Contemporary. Wegen in Russland erwirtschaftetem Vermögen kritisiert, zog er sich schließlich aus der VC zurückzog.

Jetzt ist er zurück. Zusammen mit dem Exgaleristen Stephan Stoyanov startet er Particolare. Wie kann man die Situation für eine Messe in Wien, für die Galerien, für die Kunstszene verbessern, wie kann es internationaler werden – das seien seine Anfangsüberlegung gewesen, erklärt Stoyanov sein Interesse an dem Projekt. Darum habe er die Form eines Salons vorgeschlagen. Mit im Team ist noch als „strategischer Berater“ Thomas Hug, Gründungsdirektor der Art Geneve. Dort wurde er allerdings letztes Jahr entlassen. Laut Medienberichten laufen strafrechtliche Ermittlungen wegen Veruntreuung von Stiftungsgeldern gegen ihn – was im Kunstbetrieb offenbar kein abschreckendes Vergehen ist.

Neue Messen: Hybride Formen

Als „wissenschaftlichen Berater“ gehört noch Marc-Olivier Wahler zum Team – ehrenamtlich, wie er betont. Die kursierenden Vorwürfe wischt der renommierte Direktor des Genfer Museums für Kunst und Geschichte (MAH) weg. Er sieht Particolare als spannende Möglichkeit für ein Experiment, an deren Anfang eine zentrale Frage gestanden habe: „Wie kann die Zukunft von Kunstmessen aussehen?“ Seine Antwort: Die Hybridform einer Messe als Ausstellung, ohne architektonische Eingriffe, ohne Stände, ohne Zwischenwände, dafür mit Podesten, die im Ballsaal in der Anordnung „dem Muster des Parkettbodens“ folgen, wie er erklärt, „um eine Ordnung zu schaffen“.

Thema der Beiträge von mehr als 30 Galerien sei „Movement in time“. Dafür suchten Wahler und Stoyanov gezielt einzelne Skulpturen, Malereien und Videos aus, darunter auch „museumsreife Werke“, womit Wahler etwa die großartige Installation von Wim Delvoye meint, die der belgische Künstler für seine große „Carte Blanche„-Schau in MAH entwickelte: Auf und durch eine Wand läuft eine Kugelbahn. Die Wege der lärmenden Kugeln führen dabei sogar brachial mitten durch Kunstwerke. Daneben steht Delvoys „Venus Italica“: eine in sich verdrehte Version von Canovas bekannter Skulptur, die der belgische Künstler in eine Murmelbahn verwandelt hat. Beide Werke waren Anfang des Jahres in 

Den Transport dieses Werke zahlte die Messe – weit über 1 Millionen Euro soll Aksenov laut Insidern in die Messe investiert haben. Und es hat sich gelohnt. Denn Particolare ist als Messehybrid absolut überzeugend. Ob das Modell auch für Verkäufe tauglich ist, zeigt sich in den nächsten Tagen. Denn die zentrale Frage für alle Messen bleibt die gleiche: Wer eigentlich soll all die Kunst kaufen, die gerade in Wien angeboten wird?


veröffentlicht in: Die Presse, 12.9.2024