Die Turiner Kunstmesse Artissima hat immer wieder Neuerungen eingeführt, die bald von anderen Messen übernommen wurden, darunter die Zusammenarbeit mit Kuratoren und die Sektion für Performances.Wieso ist dieses Gebiet interessant für eine Kunstmesse?
Sarah Cosulich, Direktorin ARTISSIMA: Wir haben die Performance-Sektion 2014 eingeführt, weil es ein zunehmend wichtiges Gebiet in der zeitgenössischen Kunst geworden ist. Heuer haben 7 Galerien Performances mitgebracht.
Sabine B. Vogel: Zahlt die Messe den Performance-Künstlern ein Honorar?
Sarah Cosulich: Nein, aber die Galerien zahlen dafür keine Gebühren. Die haben alle einen Stand in einer der anderen Sektionen, die meisten Performances finden in einem eigenen Abschnitt der Messe statt. Die Galerien müssen wenn nötig Produktionskosten übernehmen, wir übernehmen die Hotelkosten für die Künstler und die Galeristen in Turin.
SBV: Die Performances wurden von Kuratoren ausgewählt. Diese Zusammenarbeit bzw. das Kuratorenprinzip ist ein zentrales Kennzeichen der Artissima – wie kann man sich das praktisch vorstellen?
Sarah Cosulich: Die Kuratoren kommen nicht nur für eine Jury- oder Komitee-Sitzung, sondern sie arbeiten für uns das ganze Jahr. Sie recherchieren für uns, besuchen Künstler im Atelier, haben bei ihren Reisen die Augen immer offen. Oft schlagen sie ganz konkrete Werke vor, vor allem in der „Back to the future“-Sektion. Oder reden mit, wie der Stand installiert werden kann. Dadurch greifen sie stark in die gesamte Messe ein, wodurch die Qualität mit jedem Jahr steigt.
SBV: Wie viele Kuratoren arbeiten für die Artissima?
Sarah Cosulich: Insgesamt sind es 52 Kuratoren, 4 in jeder Sektion, dazu gibt es 7 Preise mit verschiedenen Jurys, noch 3 Komitees, die Walkie-Talkis, also die Führungen durch die Messe von Kuratoren mit Sammlern, dazu die Kuratoren im Gesprächsprogramm.
SBV: Wie wählen Sie die Kuratoren aus?
Sarah Cosulich: Das machen wir mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Wir beauftragen Kuratoren, die mit einem cross-culture-Ansatz international aktiv sind, Herkunft und Lebensraum vermischen sich da oft in den Interessen. Wir wollen einen möglichst großen geographischen Raum einbeziehen.
SBV: Werden die Kuratoren von Ihnen vorab gebrieft?
Sarah Cosulich: Bei den Messesektionen haben sie Carte Blanche und können dadurch die Messe sehr stark beeinflussen. Manchmal reden sie auch mit der Künstlerauswahl der Galerien und sogar bei der Menge der mitgebrachten Werke mit. Die Performance-Sektion ist ein ausschließliches Ergebnis des Kurators. Oft bleiben uns die Kuratoren sogar noch nach ihrem Engagement für die Messe erhalten, sie schreiben mir weiter Vorschlägen oder kommen in neuen Rollen, als Institutionsleiter wieder, wie Krist Gruijthuijsen, der aktuelle Leiter von Kunstwerke Berlin. Viele Kuratoren werden zu Freunden der Messe.
SBV: Erhalten die Kuratoren ein Honorar?
Sarah Cosulich: Sicherlich, sie bekommen ein Honorar und die Reisen nach Turin bezahlt. Aber ihre Reisen und Recherchen passiert im Rahmen ihrer übrigen Tätigkeiten. Wir sind ein kleines Team, aber wir haben durch die Kuratoren viele Augen.
SBV: Welche Neuerungen haben Sie heuer auf der Messe eingeführt?
Sarah Cosulich: Vielleicht haben Sie es bemerkt: Wir haben die 18 Galerien in der Sektion New Entries in die allererste Reihe direkt am Eingang der Messe platziert. Damit kommt den kostengünstigsten Ständen die höchste Bedeutung zu. Zudem haben wir heuer die 19 Back to the Future-Galerien gebündelt und nicht mehr über die Messe verteilt. Neu ist die Sektion Dialog, bei der höchsten drei Künstler in einer sorgfältig konzipierten Weise präsentiert sind. Insgesamt möchten wir, dass die Galerien ihre Stände auf der Messe so oft wie möglich als kleine Ausstellungen inszenieren.
SBV: Haben sie manchmal überlegt, das Prinzip der Gastländer einzuführen?
Sarah Cosulich: Wir machen das indirekt: Unsere Kuratoren sind die Gastländer!
SBV: Heuer sind Sie auch als Kuratorin aktiv, und dies sogar außerhalb der Messehalle, im Flughafen Turin – wie kam das zustande?
Sarah Cosulich: Die Artissima ist eine kommerzielle Messe, aber sie gehört der Stadt, ist eine öffentliche Veranstaltung und wir haben eine kulturelle Mission. Darum können wir auch spezielle Projekte initiieren. Die Zusammenarbeit mit dem Flughafen begann eher zufällig und hat sich super entwickelt. So haben wir die Finanzierung für dieses kollaterale Projekt einer ortsspezifischen Installation aufgestellt, Thomas Bayrles 14 Leuchtkästen „Flying Home“ bei den Gepäckbändern. Der Flughafen passt perfekt zu seinem Werk und er ist ein Künstler, der sich auch für ein riskantes Projekt begeistern kann. Die Werke müssen ja mit der Werbung rundherum konkurrieren.
SBV: War Bayrle sofort interessiert?
Sarah Cosulich: Ja. Wir haben unseren email-Schriftverkehr im Messekatalog abgedruckt, da kann man das alles nachlesen.
SBV: Letztes Jahr hatten Sie mir im Interview Ihren Wunsch genannt, die Messe auf 140 Teilnehmer zu schrumpfen. Heuer sind es wieder fast 200 Galerien – doch keine Reduktion?
Sarah Cosulich: Der Messeplatz hier in den Hallen ist ein großartiger Ort, der sieben Jahr super funktioniert hat. Aber statt die Teilnehmerzahl zu reduzieren wollen wir wahrscheinlich einen neuen Austragungsort wählen. Turin hat da noch viele Überraschungen zu bieten!
SBV: Vielen Dank für das Gespräch!